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"Diskriminierung sollte in keinem Arbeitsumfeld toleriert werden"Gespräch mit Dr. Kerstin Fries, Chefärztin der Fliedner Klinik Düsseldorf

Warum gibt es so wenige Ärztinnen in leitenden Positionen? Dr. Kerstin Fries, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefärztin der Fliedner Klinik Düsseldorf, gibt Einblicke in ihre Arbeit in der Psychiatrie und spricht über mögliche Herausforderungen auf dem Weg zur Führungsposition.

 

Frau Dr. Fries, der Anteil der Frauen in Führungspositionen in den Unikliniken liegt bei nur 13 Prozent, so eine Erhebung des Deutschen Ärztinnenbundes von 2022. Woran liegt diese Diskrepanz?

Dass Frauen in der Medizin noch immer wenig leitende Positionen besetzen, hat mit vielen Faktoren zu tun. Ein Problem ist, dass höhere Positionen oft längere Arbeitszeiten oder Überstunden erfordern. Das macht es besonders für Frauen mit Kindern schwer, solche Jobs anzunehmen, besonders wenn die Kinderbetreuung nicht gesichert ist. Dieses Problem wird verstärkt, da Männer häufig weniger oder gar keine Elternzeit nehmen, was Frauen mit Kindern zusätzlich einschränkt, sich für höhere Positionen zu bewerben. Die Tatsache, dass Männer überwiegend Leitungspositionen besetzen, ist also auch ein gesellschaftliches Phänomen, das in vielen Berufsfeldern zu beobachten ist.

Was hat bei Ihnen den Ausschlag gegeben, sich für eine Karriere in der Medizin zu entscheiden? Und was hat Sie an der Position der Chefärztin gereizt?

Ich habe schon immer eine Leidenschaft für die Medizin verspürt und für Themen der psychischen Gesundheit. Durch die Arbeit in der Psychiatrie kann ich aktiv dazu beitragen, das Bewusstsein für psychische Gesundheit zu fördern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Außerdem bietet die Psychiatrie ein Arbeitsumfeld mit ausgewogenen Arbeitszeiten, was mir nach der Geburt meiner Tochter sehr wichtig war. 

Seit 2007 arbeite ich in der Fliedner Klinik Düsseldorf, zunächst als Oberärztin. Als der damalige Chefarzt die Klinik verließ, bekam ich die Chance, seine Position zu übernehmen. Die Herausforderungen und Verantwortungen, die mit der Position der Chefärztin einhergehen, haben mich gereizt, und so habe ich im Jahr 2009 zugesagt.

Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg zur Chefärztin in einer psychiatrischen Klinik als Frau erlebt?

Eine Herausforderung war definitiv die Geburt meiner Tochter während meines Studiums. Es war damals noch schwerer als heute, gute Betreuungsmöglichkeiten zu finden, weil Kitas noch nicht weit verbreitet waren. 

Können Sie sich an einen Schlüsselmoment in Ihrer beruflichen Laufbahn erinnern, der Ihre Entwicklung geprägt hat?

Ein wichtiger Moment auf meinem Weg zur Chefärztin war, dass ich als Oberärztin bereits meine Arbeitsweise und Fähigkeiten zeigen konnte. Man kannte mich und meine Arbeit. Als die Position des Chefarztes frei wurde, wurde ich ausgewählt, weil man bereits wusste, dass ich gute Arbeit leiste und man sich auf mich verlassen kann.

Wie könnte die Medizinbranche als Ganzes dazu beitragen, die Gleichberechtigung in Führungspositionen zu fördern?

Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Branche Gleichberechtigung aktiv vorlebt. Ein Beispiel hierfür ist die Politik, wo immer mehr Frauen hohe Ämter bekleiden und damit ein positives Signal setzen. Das sickert dann im besten Fall in die Gesellschaft durch, und kann zur Norm werden. Wir gewöhnen uns an mehr Frauen in Führungspositionen. Zusätzlich ist es wichtig, dass sich gesellschaftlich ein Wandel vollzieht, indem immer mehr Männer Verantwortung in der Kindererziehung übernehmen. Es wäre erstrebenswert, wenn es irgendwann als völlig normal angesehen wird, dass auch Männer Elternzeit nehmen.

Ihr Schwerpunkt ist die Traumatherapie. Was versteht man unter einem Trauma?

Es ist wichtig zu verstehen, dass Traumata nicht nur durch extrem schwere Ereignisse, sondern auch durch wiederholte belastende Situationen in der Kindheit entstehen können. Interessant ist, dass nicht alle Menschen ein Trauma entwickeln, selbst wenn sie ähnliche Erfahrungen machen. Ob jemand später ein Trauma entwickelt, hängt z.B. unter anderem von der persönlichen Widerstandsfähigkeit (Resilienz) ab. Diese wiederum kann auch genetisch beeinflusst sein, wie es beispielsweise bei Kindern von Kriegsüberlebenden der Fall sein kann.

Wie lassen sich Traumafolgeerkrankungen behandeln? Gibt es spezielle Therapieverfahren? Was trägt die Klinik Düsseldorf dazu bei?

In der Traumatherapie spielt die Kombination aus Stabilisierung und Konfrontation eine wichtige Rolle. Außerdem erfordert die Therapie eine umfassende Sensibilität gegenüber den Betroffenen und der Thematik. Es gibt verschiedene Therapiemethoden zur Behandlung von Traumafolgeerkrankungen, wie Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT), Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) und Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT). In unserer Klinik in Düsseldorf bieten wir IRRT und PITT an, sowie kognitive Verfahren aus der Verhaltenstherapie wie die Acceptance and Commitment Therapy (ACT).

Sie sind nun genau seit 17 Jahren in der Fliedner Klinik Düsseldorf tätig, seit 15 Jahren Leiterin. Wie sind Ihre Eindrücke nach dieser Zeit – vom Team, der Zusammenarbeit?

Wir sind eine kleine Klinik mit einem kleinen Team, was viele Vorteile hat: kurze Kommunikationswege, interdisziplinäre und nahtlose Zusammenarbeit, was für eine bestmögliche Betreuung unserer Patientinnen und Patienten sehr wichtig ist. Außerdem haben wir flache Hierarchien und kommunizieren auf Augenhöhe, was ein effizientes Arbeiten und eine hohe Qualität der Versorgung ermöglicht.

Was macht Ihre psychiatrische Klinik einzigartig, besonders im Hinblick auf die Verteilung von Frauen und Männern?

In unserer Klinik sind beide leitenden Positionen von Frauen besetzt. Auffällig ist auch, dass hauptsächlich Männer als Psychologische Psychotherapeuten arbeiten. Diese Geschlechterverteilung ist anders als in den meisten anderen Kliniken in Deutschland.

Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere in der Psychiatrie anstreben, insbesondere in Führungspositionen?

Wenn jemand eine Führungsposition anstrebt und dabei auf Hindernisse stößt, empfehle ich, selbstbewusst die Konfrontation zu suchen. Diskriminierung sollte in keinem Arbeitsumfeld toleriert werden, und es ist wichtig, es anzusprechen, wenn man davon betroffen ist. 

März 2024


Fliedner Auditorium Digital am 26.04.2023Online-Fortbildung zum Thema "Neuere Entwicklungen in der Psychotherapie älterer Menschen" mit Dr. phil. Meinolf Peters

 Vortragsfolien


Fliedner Auditorium Digital am 23.06.2021Online-Fortbildung zum Thema "Akzeptanz und die Einnahme flexibler Perspektiven in der Psychotherapie" mit Dipl.-Psych. Beate Ebert


Schnellkurs Online-Therapie: Online-Therapiegespräche in der Fliedner Klinik Düsseldorf

von Dr. Dipl.-Psych. Sebastian Zumdick
Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie)
Arbeitsschwerpunkte (u.a.): Stressfolgeerkrankungen ("Burnout"), Akzeptanz- und Commitmenttherapie.


Während des Höhepunkts der Corona-Pandemie waren die gesellschaftlichen Veränderungen drastisch, einschneidend und nahezu überall spürbar. In der Psychotherapie wirkten sie jedoch auch als Beschleuniger für einen technischen Transformationsprozess: Die Online-Therapie rückte auch immer mehr in das Angebotsspektrum der Fliedner-Kliniken!

Dabei nahmen nicht nur Patient:innen mit körperlichen Einschränkungen oder Angst vor Ansteckung das Angebot dankend an, digital mit ihren Psychotherapeut:innen zu sprechen. Auch Klient:innen, die auf Grund von Quarantänebestimmungen oder fehlender Kinderbetreuung zu Hause bleiben mussten, machten von der Online-Therapie Gebrauch.

Und auch wenn diese Art von Kommunikation für alle Beteiligten zunächst ungewohnt war, gelangte man schnell zum eigentlichen Anlass der Begegnung: Traurigkeit, Sorgen, Konflikte mit der Familie oder Überlastung. Und ein großer Teil der Belastung entstand natürlich auch im Umgang mit Corona: Die Sehnsucht nach Freunden und Angehörigen, Angst vor der Krankheit, Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung und Konflikte mit Mitmenschen, um nur einige Themen anzusprechen.

In großen Teilen änderte sich das therapeutische Vorgehen jedoch nicht sehr: Gemeinsame Achtsamkeitsübungen, Besprechen von Zielen und therapeutische Hausaufgaben. Das geduldige und zugewandte Zuhören - nur eben am Bildschirm. Viele Patient:innen nutzten die Bildschirmsprechstunde als Überbrückung – durch die vorherigen Therapiesitzungen waren sie in der Lage ohne große Umstellung mit ihren Psychotherapeut:innen digital  zu kommunizieren.

Die Grenzen des OnlineTherapiespektrums ausgelotet - und auch ziemlich schnell erreicht?

Ein Rapport, das Besprechen von „Hausaufgaben“ und der Bericht von den Erlebnissen der Woche, funktioniert digital erstaunlich schnell und reibungslos. Doch was für die Psychotherapie im Allgemeinen gilt, betrifft die Online-Sprechstunde umso mehr und wir Therapeut:innen fragen uns: Wie schaffe ich es, emotionale Inhalte zu aktivieren? Wie versetze ich die Klient:innen in die Lage, einen „guten“ Umgang mit ihren Gefühlen zu praktizieren? Wie hält man gemeinsam Krisen und scheinbar ausweglose Situationen aus? Wie teilt und spiegelt man online die Gefühle der Patient:innen?

Es ist dafür hilfreich und unabdingbar, für sich selbst und die Patient:innen angemessene Rahmenbedingungen wie technisches Know-how, genügend Vorbereitungszeit, Störungsfreiheit und Zeit zum Reflektieren danach zu schaffen. Und auch wenn der virtuelle Kontakt den direkten nicht ersetzen kann, gelingt es erstaunlich gut, trotz der physischen Distanz eine vertrauensvolle und förderliche Atmosphäre zu schaffen.

Dennoch: Für die Patient:innen fallen die Wegstrecken weg – Zeit, die mitunter hilfreich war um Erlebtes noch einmal zu reflektieren. Ebenso findet die Therapie nicht mehr in der Klinik „beim Therapeuten“ statt – eine nicht unbedeutende, schwer zu beschreibende Platzierung der emotionalen, belastenden Themen in einem geschützten, professionellen und äußerem Rahmen.

Und für die Therapeut:innen bedeutet es mehr Bildschirmarbeit, Kommunizieren am Schreibtisch statt im Sessel und ein vager Verlust an Direktheit oder Echtheit. Aber auch das Gefühl, Menschen in Not und in widrigen Umständen beistehen zu können.

Die Online-Therapie – eine Zwischenbilanz

Die Rückmeldungen der Therapeuten über Online Therapie sind so unterschiedlich, wie es wahrscheinlich auch die Meinungen in Deutschland zum Thema Home-Office gerade auseinandergehen. Sie reichen von „Patient:innen so kennen zu lernen und emotional zu erfassen – das geht doch nicht!“, über „Patient:innen sind begeistert über die fehlenden Anfahrtszeiten und geringeren Terminstress.“, bis hin zu „Toll – bei einem Patienten der nach Hamburg gezogen ist, kann ich so die Therapie fortführen.“

Im Zuge der Lockerungen der Corona-Beschränkungen ist die Frequenz und Häufigkeit der Online-Therapie rückläufig. Dennoch möchten einige Patient:innen, die sich mit diesem Modell angefreundet haben und bei denen sich dadurch ein nachhaltiges Therapiesetting ergeben hat, auch weiterhin davon Gebrauch machen. Letzen Endes erweitert es das Angebotsspektrum der Kliniken im Allgemeinen und auch wenn wir hoffen, dass es nicht dazu kommen wird: Für mögliche Kontaktbeschränkungen in der nahen Zukunft sind wir nun bestens vorbereitet.

Zu guter Letzt möchte ich ein großes Lob an das Fliedner-Team aussprechen: Die technischen Voraussetzungen konnten zügig mit der EDV und dem Zentralen Einkauf geschaffen werden. Auch die Wahl des (zertifizierten und geprüften) Online-Anbieters funktionierte in guter Abstimmung zwischen den Einrichtungen, von denen einige bereits Erfahrungen im Umgang mit Online-Therapieplattformen hatten, so dass gute Synergieeffekte erzielt werden konnten.

Sebastian Zumdick