von Dr. Dipl.-Psych. Sebastian Zumdick
Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie)
Arbeitsschwerpunkte (u.a.): Stressfolgeerkrankungen ("Burnout"), Akzeptanz- und Commitmenttherapie.
Während des Höhepunkts der Corona-Pandemie waren die gesellschaftlichen Veränderungen drastisch, einschneidend und nahezu überall spürbar. In der Psychotherapie wirkten sie jedoch auch als Beschleuniger für einen technischen Transformationsprozess: Die Online-Therapie rückte auch immer mehr in das Angebotsspektrum der Fliedner-Kliniken!
Dabei nahmen nicht nur Patient:innen mit körperlichen Einschränkungen oder Angst vor Ansteckung das Angebot dankend an, digital mit ihren Psychotherapeut:innen zu sprechen. Auch Klient:innen, die auf Grund von Quarantänebestimmungen oder fehlender Kinderbetreuung zu Hause bleiben mussten, machten von der Online-Therapie Gebrauch.
Und auch wenn diese Art von Kommunikation für alle Beteiligten zunächst ungewohnt war, gelangte man schnell zum eigentlichen Anlass der Begegnung: Traurigkeit, Sorgen, Konflikte mit der Familie oder Überlastung. Und ein großer Teil der Belastung entstand natürlich auch im Umgang mit Corona: Die Sehnsucht nach Freunden und Angehörigen, Angst vor der Krankheit, Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung und Konflikte mit Mitmenschen, um nur einige Themen anzusprechen.
In großen Teilen änderte sich das therapeutische Vorgehen jedoch nicht sehr: Gemeinsame Achtsamkeitsübungen, Besprechen von Zielen und therapeutische Hausaufgaben. Das geduldige und zugewandte Zuhören - nur eben am Bildschirm. Viele Patient:innen nutzten die Bildschirmsprechstunde als Überbrückung – durch die vorherigen Therapiesitzungen waren sie in der Lage ohne große Umstellung mit ihren Psychotherapeut:innen digital zu kommunizieren.
Die Grenzen des OnlineTherapiespektrums ausgelotet - und auch ziemlich schnell erreicht?
Ein Rapport, das Besprechen von „Hausaufgaben“ und der Bericht von den Erlebnissen der Woche, funktioniert digital erstaunlich schnell und reibungslos. Doch was für die Psychotherapie im Allgemeinen gilt, betrifft die Online-Sprechstunde umso mehr und wir Therapeut:innen fragen uns: Wie schaffe ich es, emotionale Inhalte zu aktivieren? Wie versetze ich die Klient:innen in die Lage, einen „guten“ Umgang mit ihren Gefühlen zu praktizieren? Wie hält man gemeinsam Krisen und scheinbar ausweglose Situationen aus? Wie teilt und spiegelt man online die Gefühle der Patient:innen?
Es ist dafür hilfreich und unabdingbar, für sich selbst und die Patient:innen angemessene Rahmenbedingungen wie technisches Know-how, genügend Vorbereitungszeit, Störungsfreiheit und Zeit zum Reflektieren danach zu schaffen. Und auch wenn der virtuelle Kontakt den direkten nicht ersetzen kann, gelingt es erstaunlich gut, trotz der physischen Distanz eine vertrauensvolle und förderliche Atmosphäre zu schaffen.
Dennoch: Für die Patient:innen fallen die Wegstrecken weg – Zeit, die mitunter hilfreich war um Erlebtes noch einmal zu reflektieren. Ebenso findet die Therapie nicht mehr in der Klinik „beim Therapeuten“ statt – eine nicht unbedeutende, schwer zu beschreibende Platzierung der emotionalen, belastenden Themen in einem geschützten, professionellen und äußerem Rahmen.
Und für die Therapeut:innen bedeutet es mehr Bildschirmarbeit, Kommunizieren am Schreibtisch statt im Sessel und ein vager Verlust an Direktheit oder Echtheit. Aber auch das Gefühl, Menschen in Not und in widrigen Umständen beistehen zu können.
Die Online-Therapie – eine Zwischenbilanz
Die Rückmeldungen der Therapeuten über Online Therapie sind so unterschiedlich, wie es wahrscheinlich auch die Meinungen in Deutschland zum Thema Home-Office gerade auseinandergehen. Sie reichen von „Patient:innen so kennen zu lernen und emotional zu erfassen – das geht doch nicht!“, über „Patient:innen sind begeistert über die fehlenden Anfahrtszeiten und geringeren Terminstress.“, bis hin zu „Toll – bei einem Patienten der nach Hamburg gezogen ist, kann ich so die Therapie fortführen.“
Im Zuge der Lockerungen der Corona-Beschränkungen ist die Frequenz und Häufigkeit der Online-Therapie rückläufig. Dennoch möchten einige Patient:innen, die sich mit diesem Modell angefreundet haben und bei denen sich dadurch ein nachhaltiges Therapiesetting ergeben hat, auch weiterhin davon Gebrauch machen. Letzen Endes erweitert es das Angebotsspektrum der Kliniken im Allgemeinen und auch wenn wir hoffen, dass es nicht dazu kommen wird: Für mögliche Kontaktbeschränkungen in der nahen Zukunft sind wir nun bestens vorbereitet.
Zu guter Letzt möchte ich ein großes Lob an das Fliedner-Team aussprechen: Die technischen Voraussetzungen konnten zügig mit der EDV und dem Zentralen Einkauf geschaffen werden. Auch die Wahl des (zertifizierten und geprüften) Online-Anbieters funktionierte in guter Abstimmung zwischen den Einrichtungen, von denen einige bereits Erfahrungen im Umgang mit Online-Therapieplattformen hatten, so dass gute Synergieeffekte erzielt werden konnten.
Sebastian Zumdick