„Frauen sind häufiger von Depression und Essstörungen betroffen als Männer.“ So fasst das Robert Koch-Institut den Abschnitt zur psychischen Gesundheit in seinem 2020 erschienen Frauengesundheitsbericht zusammen. Bestimmte psychische Erkrankungen, wie etwa Depressionen, Angststörungen und Essstörungen treten bei Frauen deutlich häufiger auf als bei Männern. Im Vergleich zu Männern sind Frauen fast doppelt so oft von Depressionen oder Angststörungen betroffen, bei Magersucht ist der Anteil von Frauen sogar viermal so hoch.
Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Ursachen. Dazu gehören etwa geschlechterspezifische Unterschiede bei biologischen, psychologischen und sozialen Risikofaktoren. So äußern sich beispielsweise Depressionen bei Männern anders als bei Frauen. Dabei beeinflussen nicht selten gesellschaftliche Rollenklischees die unterschiedlichen Verhaltensweisen bei einer Depression, wie Svenja Mereutza, Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin der Fliedner Klinik Berlin, erklärt: „In meiner Arbeit erlebe ich vermehrt, dass Männer bei einer Depression eher zu Reizbarkeit, Stress und Aggression neigen, während Frauen häufiger Symptome wie Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Selbstzweifel zeigen.“ Auch die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen ist ungleich verteilt und könnte mit den unterschiedlichen Rollenbildern zusammenhängen: „Über psychische Erkrankungen zu sprechen, ist für viele Menschen schambehaftet. Die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen, ist bei Männern weniger ausgeprägt, da Hilfebedürftigkeit durch gesellschaftlich geltende Rollenzuschreibungen und -erwartungen eher mit Schwäche assoziiert ist“, so Mereutza. Auch bei der Diagnosestellung können Rollenbilder entscheidend sein, indem Frauen bei gleicher Symptomatik häufiger eine psychische, Männer hingegen eine somatische Diagnose erhalten. Schließlich spielt das Geschlecht auch bei der Dosierung von Psychopharmaka eine wichtige Rolle.
Hinzu kommen Unterschiede bei den Lebensbedingungen und den sozialen Umständen. „Frauen sind oft alleinerziehend und haben häufiger ein niedrigeres Einkommen. Gleichzeitig kümmern sich Frauen mehr als Männer um die Pflege von Angehörigen oder um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch sind Frauen häufiger Opfer sexualisierter und psychischer Gewalt. All das sind Belastungen, die zu Dauerstress und psychischen Erkrankungen führen können. Durch ihre prekären Lebenslagen sind Frauen vulnerabler für Stress. Zudem können bestimmte Lebensphasen, wie die Zeit vor und nach der Geburt eines Kindes oder auch die Menopause, das Risiko für ein psychisches Ungleichgewicht erhöhen“, erklärt Mereutza. Es sind also auch biologische und endokrinologische Unterschiede, die das ungleiche Risiko mitbringen.
Auch wenn das gesellschaftliche Bewusstsein für eine geschlechterspezifische Gesundheitsversorgung zunimmt, müssen Prävention, Diagnose und Therapie von psychischen Erkrankungen noch spezifischer an den Bedürfnissen von Frauen und Männern ausgerichtet werden. Insbesondere der große Unterschied im Erkrankungsrisiko bei depressiven Erkrankungen ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Erforderlich wären laut RKI-Bericht nicht nur mehr evidenzbasierte Informationen über psychische Störungen im Hinblick auf Geschlechterunterschiede, sondern auch eine geschlechtersensible Aus-, Fort- und Weiterbildung für Behandelnde der verschiedenen Professionen.
Quellen:
„Frauenspezifische psychische Störungen in der Psychiatrie“ (Springer Medizin, 2017)
Frauengesundheitsbericht (RKI, 2020)
“Warum das Geschlecht bei Krankheiten eine Rolle spielt“ (ARDalpha, 2022)