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DBT-THERAPIE: FÜHRERSCHEIN FÜR EINEN EMOTIONALEN FERRARI
„Die Arbeit mit Borderlinepatienten ist eine emotionale Herausforderung aber niemals langweilig, sondern faszinierend und spannend!“ – PD Dr. Christian Stiglmayr, Gründer und Geschäftsführer der AWP Berlin (Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche Psychotherapie Berlin) ist ein leidenschaftlicher DBT-Therapeut. Im Gespräch erklärt er, warum die Zertifizierung der Fliedner Klinik Berlin gut für die Berliner Behandlungslandschaft ist und warum die Therapieform Ihm auch bei eigenen Beziehungsproblemen hilft.

Sie sind schon seit einigen Jahren Supervisor in der Fliedner Klinik Berlin. Was ist Ihnen besonders in Ihrer Arbeit mit dem Team besonders aufgefallen?

Alle Beteiligten sind sehr interessiert, deswegen komme ich auch immer noch so gerne. Das Team ist hervorragend in der Lage in die Tiefe zu denken und einzelne Prozesse immer wieder durchzugehen. Es geht nie nur um DBT in der Theorie sondern immer auch um die konkrete Umsetzung in ganz unterschiedlichen Begebenheiten. Mit der Zeit haben sich alle eine wirklich gute „DBT-Brille“ erarbeitet, mit der sie die Therapie sehr natürlich in den Stationsalltag einbringen und mit der sie wichtige organisatorische wie therapeutische Themen für die Supervision erkennen. Das erleichtert mir, in der Supervision hilfreich zu sein.

Wie sieht eine solche Supervision aus?

Wir treffen uns einmal im Monat für zwei Stunden im ganzen Team. Gemeinsam sammeln wir organisatorische Themen und Fälle über die wir sprechen möchten. Dann starten wir mit einer gemeinsamen Achtsamkeitsübung, bevor wir die Liste durchgehen. Neben einem „Hüter der Zeit“ haben wir dabei auch einen „Hüter der Dialektik“, der sicherstellt, dass alle Themen im Sinne der Dialektik ausgewogen behandelt werden.

Warum ist diese hohe Frequenz an Supervision nötig?

Es ist eine der Grundannahmen der DBT, dass Therapeuten, die mit Borderlinepatienten arbeiten dabei Unterstützung brauchen.

Was ist denn das besondere an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Diese Menschen haben Emotionen, die im Vergleich zu unseren im Durchschnitt neunmal stärker sind. Das merken Sie bereits, wenn Sie den gleichen Raum betreten. Die Luft knistert! Borderliner machen genau deswegen viele Dinge, um ihre Emotionen zu regulieren; sie verletzen sich, nehmen Drogen, gehen große Risiken ein oder werden suizidal. Sie müssen sich vorstellen, diese Menschen versuchen einen emotionalen Ferrari zu beherrschen, während wir im Vergleich dazu Golf fahren.

Wie geht die DBT damit um?

Zum einen wird vom Therapeuten verlangt, absolut authentisch und echt zu sein. Das ist etwas sehr befriedigendes! Ich bin in der Beziehungsgestaltung ein Mensch zum Anfassen und gleichzeitig Modell. Zum anderen ist die Dialektik der Schlüssel der therapeutischen Aufgabe: Der Therapeut befindet sich immer in der Spannung zwischen direktem, lösungsorientiertem und forderndem Verhalten auf der einen Seite und einer sehr wohlwollenden und mitfühlenden Haltung auf der anderen. Diese Spannung macht die Therapie besonders und anspruchsvoll zugleich.

Wenn es so viel abverlangt, warum haben Sie sich DBT und der Behandlung von Borderline-Patient/innen zugewandt?

Ich fand diese hohe Emotionalität der Borderline-Betroffenen und die damit einhergehende Not schon immer faszinierend: Es handelt sich um unfassbar lebendige Menschen, von denen man viel lernen kann. Ihnen fehlt einfach die Beherrschung dieses Ferraris, aber daran kann man gut arbeiten. Auch mich persönlich hat die Arbeit mit diesen Menschen verändert – ich bin achtsamer und richte mich auch in meinem persönlichen Umfeld nach den acht Grundannahmen der DBT. Eine davon ist zum Beispiel „Patienten geben sich wirklich Mühe“. Überträgt man das bspw. auf eine Paarbeziehung, also „Meine Partnerin/mein Partner gibt sich wirklich Mühe“, kann man viele Konflikte vermeiden.

 Was heißt es für die Berliner Behandlungslandschaft, dass die Fliedner Klinik nun die Zertifizierungsanwärterschaft hat?

Von der Zertifizierung der Fliedner Klinik Berlin wird die Behandlungslandschaft in Berlin auf jeden Fall profitieren – besonders weil es sich um ein Tagesklinisches Setting handelt, das insgesamt lebensnäher ist, was dem Trend entspricht. Dabei ist die Zertifizierung selbst ein besonderes Qualitätsmerkmal. DBT ist kein geschützter Titel, was prinzipiell gut ist, weil der Zugang damit niederschwellig ist. Gleichzeitig kann unter diesen Voraussetzungen nur ein Zertifikat garantieren, dass ‚drin ist, was drauf steht‘. Und das sollte unser Ziel sein. Denn richtig angewandt ist die DBT eine als sehr wirksam getestete Therapiemethode.

Was denken Sie über das spezifische Angebot DBT für Essstörung an der Fliedner Klinik Berlin?

Das ist total wichtig! In Berlin ist die Fliedner Klinik meines Wissens nach im Tagesklinischen Bereich der einzige Anbieter. Dabei gibt es einen großen Bedarf und DBT-E ist ein evaluiertes, sehr wirksames Verfahren. Die Nachfrage nach Fortbildungen ist derzeit ziemlich hoch, das Angebot für Patienten hingegen zu gering. Die Fliedner Klinik Berlin hilft mit ihrer Zertifizierungsanwärterschaft dabei das zu ändern.

WAS IST EIGENTLICH...
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)

Hinter der Abkürzung DBT verbirgt sich ein anerkanntes, empirisch belegtes, ambulantes, teilstationäres oder vollstationäres verhaltenstherapeutisches Verfahren aus den USA. Die Therapeutin Marsha M. Linehan entwickelte es ursprünglich zur Behandlung  suizidaler, als untherapierbar geltender Patienten. Heute wird es für unterschiedlichste Leiden wie Ess-, Sucht- oder Impulskontrollstörungen angewandt. Zentrale Zielgruppe sind dabei Borderlinepatient/innen. Die manualisierte Behandlung ist sehr trainingsbasiert: In den drei therapeutischen Kernbestandteilen – Veränderungsstrategien, Akzeptanzstrategien und dialektische Strategien – stehen radikale Akzeptanz, Achtsamkeit, und Selbststeuerung im Vordergrund. Auf Grund der guten Erfahrungen mit der DBT strebt die Fliedner Klinik Berlin eine Zertifizierung der Station 1 als DBT-Behandlungseinheit an und hält derzeit den Status des Zertifizierungsanwärters inne.