Türchen 8:

Dr. Gabriele Stotz-Ingenlath – Fliedner Klinik Berlin

Einsamkeit

Das Wort „einsam“ bedeutet „nicht gemeinsam“. Sprachlich unterscheidet man einsam und allein, wobei „allein“ eher als objektive Tatsache „zählt“ und „einsam“ eher eine subjektive Befindlichkeit ausdrückt, ein Gefühl der Abgeschiedenheit von der Umwelt, das oft schmerzlich wahrgenommen wird. Einsamkeit ist eine menschliche Grunderfahrung. Jeder hat seine ureigene Einsamkeit, die – negativ gesprochen auf das eigene Selbst zurückwirft, positiv gesprochen aber auch zu diesem Selbst hinführt, die also sowohl Leiderfahrung als auch Chance ist. Im Englischen und Französischen hat das Wort „solitude“ eine positive Bedeutung, beim Wort „loneliness“ bzw. „isolement“ schwingt eher Traurigkeit mit.

Blaise Pascal meinte, „dass alles Unglück der Menschen einem entstammt, nämlich dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben zu können“ (Pensées, 86/139).

 Und es stimmt, dass Menschen das Alleinsein eher vermeiden, dass es sie belastet, dass sie es nicht eingestehen wollen, sondern eher vertuschen. Allein zu sein – im Restaurant, auf Reisen, auf Einladungen – passt nicht in unsere Vorstellungen von sozialer Kompetenz. Und man blickt weg – sieht man einsame Menschen. Es tut zu weh im eigenen Innern. Dabei ist tief in sich jeder allein und gerade diese Erfahrung der Vereinzelung eint uns Menschen, lässt uns Gemeinsamkeit in Mitmenschlichkeit und Solidarität spüren.

Vielleicht sollte man selbst über die je eigene Einsamkeit sprechen und anderen einsamen Menschen auch dazu Gelegenheit geben. Ein Spruch der Tuareg besagt: „Einsamkeit ist nicht traurig, wenn sie beachtet wird.“

Vielleicht aber gilt es auch, unsere Einsamkeitsfähigkeit zu schulen, indem wir das Alleinsein, so schwer es auch sein mag, als Chance begreifen – wie übrigens auch Dichter und Denker, Philosophen und Wüstenväter das Alleinsein, die „schöpferische Einsamkeit“ geradezu suchten. Nicht jeder ist ein Dichter, der aus dem Gefühl des Einsamseins heraus Kunst schaffen kann.

Aber gerade in der Adventszeit können wir versuchen, uns Phasen des Alleinseins innerlich zu stellen, uns zurückzuziehen aus der Geschäftigkeit der Welt und wirklich einmal „allein in unserem Zimmer bleiben“, uns selbst auszuhalten, bei uns selbst zu sein, Ruhe zu geben und so die positiven Aspekte des Alleinseins bewusst wahrzunehmen. Nur der Mensch, der allein sein kann, ist fähig zu echter Begegnung, zum Nachsinnen von Begegnungen, zur gedanklichen Nähe zu anderen. Cicero formulierte das so: „Ich bin nie weniger allein, als wenn ich allein bin.“

Vor Weihnachten mag uns die Engführung des Alleinseins auch zu spirituellen Erkenntnissen führen, zu einem Gefühl der Geborgenheit im Sein, zu einer tieferen Schau wie Martin Buber es in seinem Buch „Ich und Du“ formuliert:

„Aber ist nicht auch die Einsamkeit eine Pforte? Tut sich nicht zuweilen im stillsten Alleinsein ein unvermutetes Schauen auf?... ein Geheimnis?“

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