"EINSAMKEIT IST EINE ART SEELENSCHMERZ"
Psychiater Mazda Adli im Gespräch über Einsamkeit


15% der 30-60-Jährigen in Deutschland geben an, unter Einsamkeit zu leiden - trotzdem ist Einsamkeit ein Tabuthema unserer Gesellschaft. Deswegen hat Großbritannien seit Januar 2018 ein „Ministry of Loneliness“ und auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist Einsamkeit als eine politische Aufgabe festgehalten worden. PD Dr. med. Mazda Adli (Fliedner Klinik Berlin) erklärt, was Einsamkeit ist, wann sie krank macht und was die Gesellschaft dagegen unternehmen kann. 

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Alleinsein und Abschalten aus der Betriebsamkeit des Alltages und Zeit für sich, sehen Viele als großen Luxus an. Hier liegt der Unterschied zu Einsamkeit: Als selbstgewählter Zustand kann uns Alleinsein auch mal gut tun. Einsamkeit hingegen ist so etwas wie ein seelischer Mangelzustand, den wir als unangenehm empfinden. Dieser entsteht dann, wenn die gewünschte Intensität von sozialer Einbindung in die Gemeinschaft nicht mit der realen Einbindung übereinstimmt. Man hat das Gefühl, dass es einem an Menschen mangelt, die einen mögen und mit denen man Zeit verbringen kann. Einsam ist man übrigens in der Regel dann, wenn man das Gefühl hat, um einen herum läuft das Leben, man selbst aber gehört nicht dazu. 

Wer ist denn besonders gefährdet von Einsamkeit betroffen zu sein?
Gefährdet sind Menschen, die ein größeres Risiko haben, sozial isoliert zu sein. Dazu gehören Menschen mit Migrationshintergrund oder auch ältere Menschen, vor allem, wenn sie ihre Mobilität einbüßen. Deswegen gibt es dann im hohen Alter ab 80 auch viele einsame Menschen. Es sind aber auch die vielen Alleinlebenden in unseren Großstädten. Das sind übrigens entgegen dem Klischee nicht die urbanen Karrieristen. Großstadtsingles beziehen überdurchschnittlich häufig Hartz-IV-Leistungen und sind auf soziale Unterstützung angewiesen– das erhöht auch das Risiko für Einsamkeit. 

Einsamkeit ist also keine Alterserscheinung?
Nein. Wir wissen aus neueren Studien, dass nicht nur und nicht zwangsläufig von Einsamkeit betroffen sind. Im Gegenteil: Gerade die um die 30-Jährigen sind besonders häufig einsam. Und gerade die ‚jüngeren Alten‘, also die Mitte 70-Jährigen, sind gar nicht so häufig einsam. Erst ab dem Alter von 80 Jahren steigt die Einsamkeitsrate steil an. Einsamkeit verläuft also in Wellen und steigt nicht einfach linear mit dem Alter an. 

Macht Einsamkeit krank?
Wenn wir kein soziales Netz haben, das uns auffängt, fühlen wir uns einsam. Das ist für so gut wie jeden Menschen quälend - wir sind soziale Wesen. Evolutionär gesehen hängt unser Überleben davon ab, dass wir mit anderen kooperieren und auf Unterstützung hoffen können. Einsamkeit ist ein Alarmsignal für die Empfindung sozial isoliert zu sein und eben nicht auf diese Unterstützung hoffen können. Diese soziale Isolation ist einer der wesentlichsten Krankmacher gleichermaßen für psychische wie für körperliche Krankheiten. Die Folgen sind vielfältig. Dazu gehören zum Beispiel Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, Schlafstörungen oder Depressionen. Einige große Untersuchungen der letzten Jahre zeigen: Soziale Isolation belastet unsere Gesundheit stärker als moderates Rauchen, Alkoholmissbrauch und Übergewicht.

Was hilft gegen Einsamkeit?
Vertrauen Sie sich jemandem an. Dem Hausarzt, dem Pfarrer, Angehörigen, Kollegen oder Nachbarn. Das ist der erste wichtigste Schritt, um Einsamkeit zu durchbrechen und Unterstützungsstrukturen aufzubauen. Einsamkeit ist ein riesiges Tabuthema in unserer Gesellschaft – obwohl sie so häufig ist. Ich stelle immer wieder fest, dass es vielen Menschen selbst beim Psychiater schwer fällt zu sagen, dass sie sich einsam fühlen.

Wenn Sie in der Stadt wohnen ist es hilfreich, sich schnell  mit der neuen Nachbarschaft vertraut zu machen: Wie sieht die Straße aus, in der ich Wohne? Welche Menschen wohnen im gleichen Haus? Welche Geschäfte oder Cafés möchten Sie kennenlernen? So kann man sich erstmal eine kleine, übersichtliche Heimat aufbauen. Das hilft.

Zusätzlich ist es hilfreich zu überlegen, ob es jemanden gibt, den oder die man jederzeit anrufen könnte, wenn man Hilfe braucht. Falls es diese Person nicht gibt, könnte man versuchen, jemandem im Umfeld diese Rolle zu geben. Es hilft, dessen oder deren Telefonnummer auswendig zu kennen. Grundsätzlich ist es hilfreich, sich aus bestehenden Kontakten ein festeres soziales Netz von Menschen aufzubauen, auf die man zugehen kann, wenn man Hilfe braucht oder mit denen einfach mal Zeit verbringen kann. Das hört sich vielleicht banal an, aber es hilft ungemein.