Das Haus Siloah wurde, initiiert von Pastor Eduard Hirsch, vor 145 Jahren gegründet. Es bot erstmals Menschen eine stationäre Hilfe bei der Überwindung der Alkoholabhängigkeit.
„Sucht ist keine Schwäche, sondern eine Krankheit.“ Nach fast drei Jahrzehnten engagierter Arbeit in der Suchttherapie verabschiedet sich Dr. Olaf Lask von der Theodor Fliedner Stiftung. Zunächst als Assistenzarzt, Facharzt, Oberarzt und leitender Arzt im Krankenhaus Ratingen tätig, wurde er später Chefarzt in der Fachklinik Haus Siloah. Im Interview blickt er auf seine langjährige Karriere zurück, spricht über die Bedeutung von Heilung und den einzigartigen Ansatz des Hauses Siloah. Dabei erzählt er von seiner Leidenschaft für die Suchtbehandlung und den besonderen Orten, die für ihn mehr als nur medizinische Einrichtungen sind.
Herr Dr. Lask, ein paar kurze Fragen zum Einstieg: Sind Sie eher der Typ „Berg“ oder „Meer“?
Definitiv „Meer“.
Kaffee oder Tee?
Kaffee!
Bitte ergänzen Sie: An einem freien Tag mache ich am liebsten…
...Fotos. Ich fotografiere sehr gerne und bearbeite die Fotos. Außerdem koche ich auch gerne und kümmere mich um meine 95-jährige Mutter, die in Hilden lebt – meinem Heimatort.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Ehrlich gesagt, nein. Ich bin nicht der Typ für Leitsprüche.
Wie würden Sie sich in fünf Worten beschreiben?
Empathisch, kooperativ, fleißig, pragmatisch und neugierig.
Herr Dr. Lask, wie begann Ihre Laufbahn im Haus Siloah, und was war damals das Besondere an der Einrichtung?
Meine Laufbahn begann 1990 im Fliedner Krankenhaus Ratingen, zu dem das Haus Siloah damals noch gehörte. Das Krankenhaus war ein Sonderkrankenhaus. Das bedeutete, dass die Rehabilitationsabteilung für Suchtkrankheiten in das psychiatrische Krankenhaus integriert war. Besonders war und ist das sogenannte Nahtlosverfahren: Patient:innen können direkt von der Entgiftung nahtlos in die Rehabilitation übergehen. Das Haus Siloah war damals die Station 10 des Fliedner Krankenhauses. Ich wiederum begann auf den allgemeinpsychiatrischen Stationen, wo ich unter anderem schwer kranke Patient:innen auf der geschlossenen Station betreute.
Das Haus Siloah wurde, initiiert von Pastor Eduard Hirsch, vor 145 Jahren gegründet. Es bot erstmals Menschen eine stationäre Hilfe bei der Überwindung der Alkoholabhängigkeit.
…Gründung des Hauses Siloah
Fast drei Jahrzehnte arbeitete Dr. Olaf Lask in der Einrichtung in Ratingen.
Sie haben 1995 Ihre Facharztausbildung abgeschlossen. Wie ging es danach weiter?
Nach meiner Facharztausbildung kam 1998 eine Nebentätigkeit als Beratungsstellenarzt in der Fachambulanz der Diakonie Düsseldorf hinzu, die bis heute besteht und der Ausgangspunkt für unser Netzwerk mit anderen Suchtberatungsstellen wurde. Im Jahr 2000 wurde ich Oberarzt und leitete eine der beiden Suchtstationen gemeinsam mit der Rehabilitationsabteilung Haus Siloah. Ab diesem Zeitpunkt war ich ausschließlich in der Suchttherapie tätig. Besonders war, dass ich viele Patient:innen von der Akutbehandlung bis zum Ende ihrer Reha begleiten konnte. Es war eine durchgängige Betreuung – alles aus einer Hand. 2007 wurde ich leitender Arzt für die gesamte Suchtabteilung, was bedeutete, dass ich die Verantwortung für beide Suchtstationen und das Haus Siloah übernahm. Eine Akutstation war rein suchtmedizinisch, die andere kombinierte Psychosomatik und Sucht.
2015 wurde das Haus Siloah eigenständig. Was änderte sich dadurch?
Das war eine große Umstellung. Der Sonderstatus war aufgehoben worden, wodurch sich die Finanzierung der Rehabilitation verschlechtert hatte. Durch die Eigenständigkeit der Reha-Abteilung gab es nun außerdem zwei ärztliche Leitungen innerhalb des Suchtbereichs. Diese Trennung führte dazu, dass weniger interne Verlegungen im Nahtlosverfahren stattfanden als zuvor unter einer gemeinsamen Leitung. Diese Lücke konnten wir aber durch neue Vernetzungen wieder schließen.
Was treibt Sie an, seit so vielen Jahren in der Suchttherapie zu arbeiten?
Sucht wird oft missverstanden - viele sehen sie als Charakterschwäche, dabei handelt es sich um eine chronische Krankheit. Mir war schnell klar, dass es bei der Suchttherapie um viel mehr als bloße Verhaltensänderung geht: Es geht um die Lebensgeschichten der Menschen, um Biographiearbeit, das Aufarbeiten von Schicksalen. Die Suchttherapie bietet den Menschen die Chance, durch diese Aufarbeitung neue Wege zu beschreiten. Das macht diese Arbeit für mich so bedeutungsvoll und erfüllend.
"Sucht wird oft missverstanden -
viele sehen sie als Charakterschwäche, dabei handelt es sich um eine chronische Krankheit."
Worauf sind Sie in Ihrer Laufbahn besonders stolz?
Auf mein Team und die gemeinsame Entwicklung des Haus Siloah. Wir haben aus der ersten Suchtklinik Deutschlands eine Einrichtung gemacht, die sowohl therapeutisch als auch menschlich Vorbildcharakter hat.
Gibt es Momente oder Begegnungen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Das jährliche Ehemaligenfest ist immer ein besonderer Moment gewesen. Ehemalige Patient:innen kehren zurück, um ihre Abstinenz zu feiern. Einmal traf ich eine Patientin, die schwer krank war und vor der Entscheidung stand, sich mit einer Lebertransplantation zu befassen. Durch ihre Abstinenz blieb ihr diese Operation erspart. Es zeigt, dass selbst in den schwierigsten Fällen noch Veränderungen möglich sind.
In der heutigen Zeit sehen wir eine Zunahme von Suchterkrankungen – sei es durch Drogen, Alkohol oder digitale Medien. Warum nehmen Suchtprobleme zu?
Wir unterscheiden zwischen stoffgebundenen Süchten und Verhaltenssüchten. Bei den stoffgebundenen Süchten kommen immer wieder neue Substanzen hinzu. Mischkonsum hat deutlich zugenommen. Reine Alkoholerkrankungen gibt es kaum noch – fast jede:r Patient:in hat auch mal andere Substanzen wie Cannabis oder Amphetamine konsumiert. Bei den Verhaltenssüchten sehen wir eine zunehmende Problematik im Bereich der digitalen Medien, etwa durch Internetsucht.Die Geräte und die Möglichkeiten, die uns die digitale Welt bietet, haben einfach zugenommen und damit auch die Gelegenheiten für solches Suchtverhalten.
Und natürlich spielen gesellschaftliche Ereignisse eine Rolle. Wenn es Krisen gibt wie die Corona-Pandemie oder wirtschaftliche Unsicherheiten, dann begünstigt das solche Erkrankungen. Krisen können den Druck und die Isolation verstärken, was dann oft zu Suchtverhalten führt.
Ab wann spricht man eigentlich von Sucht?
Bei stoffgebundenen Süchten sind Entzugserscheinung beim Weglassen der Substanz ein klarer Hinweis auf Abhängigkeit. Bei Verhaltenssüchten, wie etwa der Internetsucht sind es eher der exzessive Zeitaufwand und die Vernachlässigung anderer Lebensbereiche, die darauf hinweisen, dass ein Verhalten zur Sucht wird. Wenn jemand zum Beispiel so viel Zeit mit etwas verbringt, dass er seine sozialen Beziehungen oder die Arbeit vernachlässigt, nicht mehr schläft und dadurch soziale oder berufliche Schäden entstehen, dann sprechen wir von einer Sucht. Entscheidend ist, dass das Verhalten trotz der negativen Konsequenzen fortgesetzt wird.
Früher war das klassische Bild des alkoholerkrankten Mannes vorherrschend. Wie haben sich die Rehabilitanden im Laufe der Jahre im Haus Siloah verändert?
Das klassische Bild des alkoholerkrankten Mannes ist nach wie vor dominant. 70% der Patient:innen mit Alkoholabhängigkeit sind Männer. Aber wir sehen zunehmend, dass der Mischkonsum und die Altersbandbreite gewachsen sind. Wir haben heute nicht nur junge, sondern auch immer mehr ältere Patient;innen, bei denen der Alkoholkonsum zugenommen hat. Frauen sind seltener von Alkoholsucht betroffen, leiden jedoch häufiger unter anderen Süchten wie etwa der Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln.
Wie kann die Suchtmedizin reagieren?
Das Suchthilfesystem ist gut aufgestellt, mit einer Vielzahl an Angeboten – sei es als klassische ambulante, teilstationäre oder vollstationäre Rehabilitation oder Behandlungsangebot niedergelassener Ärzte bis hin zu psychiatrischen Fachkrankenhäusern. Viel wichtiger ist es, die verschiedenen Süchte besser zu verstehen und das Wissen über die unterschiedlichen Erscheinungsbilder von Abhängigkeiten zu verbessern. Was wir auch brauchen, ist mehr Austausch und Vernetzung, damit die Hilfsangebote auch individuell angepasst genutzt werden. Wir möchten unsere Patient:innen außerdem so entlassen, dass der Therapieerfolg auch nach der Behandlung gesichert wird – ohne ein gutes Netzwerk und die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Anbieter wäre eine nachhaltige Therapie kaum möglich.
Nach so vielen Jahren im Haus Siloah: Was macht diese Einrichtung für Sie besonders und einzigartig?
Das Haus Siloah gilt als Wiege der modernen Suchttherapie, da hier seit 1879 die Suchtrehabilitation, so wie wir sie heute kennen, erfunden und weiterentwickelt wurde – lange bevor Sucht offiziell als eigenständige Erkrankung anerkannt wurde. Das Haus Siloah gehört auch zu den Gründungsmitgliedern des Verbands von Trinkerheilstätten des deutschen Sprachgebiets, der seit 1903 die Belange der Fachkliniken gegenüber den Kostenträgern vertritt und heute als Bundesverband Suchthilfe e.V. (bus.) noch immer erfolgreich weiterarbeitet. Es ist diese lange Tradition, die mich mit Ehrfurcht erfüllt und das Haus zu einem ganz besonderen Ort für mich macht.
Haben Sie einen Lieblingsplatz auf dem Klinikgelände?
Unser Gelände ist mein Lieblingsort. Für mich ganz besonders ist die vielfältige Tierwelt, die hier lebt. Wir haben Singvögel, den Eisvogel und Buntspechte, aber auch verschiedene Fledermausarten. Sogar die roten Waldameisen sind hier zu finden, deren Bauten unter Naturschutz stehen. Diese Nähe zur Natur hat auch für mich eine heilende Wirkung.
Nach intensiver Arbeit als Chefarzt und in der Suchttherapie insgesamt – was sind die Dinge, auf die Sie sich nun freuen?
Ich habe noch einige Reiseziele auf meiner Liste, darunter Afrika und Südamerika. Mit zunehmendem Alter wird einem bewusst, dass vielleicht nicht mehr alles realisierbar ist, weshalb Prioritäten gesetzt werden müssen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Lask, und für die Einblicke in Ihre beeindruckende Arbeit sowie Ihre Erfahrungen in der Suchttherapie. Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Erfolg auf Ihren Reisen!